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SZENISCHES THEATERSPIEL
FÜR EINE GUTE SCHULE
KONSTANTINA BENTENIDI
IN ZUSAMMENARBEIT MIT
JÖRG NOTHACKER
PÄDAGOGISCHES THEATER AN DER GRUNDSTUFE DER
THEODOR-HEUSS-GEMEINSCHAFTSSCHULE
SZENISCHES THEATERSPIEL
für eine gute Schule
KONSTANTINA BENTENIDI
Theaterpädagogin
JÖRG NOTHACKER
Vereinsvorstand und Leitung
des Projekts „Bildungspartnerschaften“
MIOMAXITO e.V.
Hagenauer Straße 15
10435 Berlin
Postanschrift:
Postfach 640102
10047 Berlin
März 2021
Pädagogisches Theaterspiel
an der Grundstufe der
Theodor-Heuss-Gemeinschaftsschule
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung: Eine andere Form des Lernens ��������������������������������������������������������������� 5
2. Was wird gespielt – und wie ��������������������������������������������������������������������������������������� 6
3. Prinzipien des pädagogischen Theaterspiels in der Schule ������������������������������������� 8
4. Ziele und Ergebnisse: Gemeinsamkeit im Mittelpunkt �������������������������������������������� 10
5. Ausgewählte methodische Elemente ���������������������������������������������������������������������� 12
6. Der Ablauf einer theaterpädagogischen Einheit im Detail����������������������������������������� 16
7. Gesammelte Erfahrungen: Ein paar Tipps ��������������������������������������������������������������� 19
8. Fazit: Szenisches Theaterspiel für eine gute Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
Anhang
A. Beispiele für Aufwärmübungen��������������������������������������������������������������������������������� 26
B. Theaterpädagogische Übungen ����������������������������������������������������������������������������� 29
C. Standardisierte Fragen für die Auswertung und Reflexion von Theaterszenen ������� 34
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Einleitung:
Eine andere Form des Lernens
Pädagogisches Theater ist eine spielerische Form, sich mit der Wirklichkeit zu beschäftigen. Im Rahmen des Projektes „Bildungspartnerschaften“, mit dem der Verein Miomaxito mit Förderung des Quartiersmanagements Moabit-Ost die Theodor-Heuss-Gemeinschaftsschule unterstützt, wird dort das szenische Theaterspiel für Kinder der ersten
bis sechsten Klassenstufe angeboten. Die zentrale Zielsetzung des Theaterangebots
besteht darin, die sozialen Kompetenzen der Kinder zu fördern und neue Lernmöglichkeiten zu eröffnen. Beim pädagogischen Theaterspiel stehen (etwas anders als beim
klassischen Schultheater) die Freude an der Begegnung, die Entwicklung eines konstruktiven Miteinanders und das Erproben neuer Sichtweisen im Mittelpunkt. Wenn die
Kinder bereit und interessiert sind, die mit ihnen entwickelten Szenen vorzuführen, werden kurze öffentliche oder halböffentliche Aufführungen – beispielsweise für ein Assembly der Schulgemeinschaft oder ein Stadtteilfest – vorbereitet, die auch den Zuschauenden neue Blicke ermöglichen. Die hier vorliegende kurze Broschüre versteht sich als
Hilfsmittel für die Umsetzung von szenischem Theaterspiel begleitend zum Unterricht
oder als Arbeitsgemeinschaft. Neben allgemeinen Prinzipien werden dafür einige bisher
an der Grundstufe der Theodor-Heuss-Gemeinschaftsschule gesammelte Erfahrungen
und erzielte Ergebnisse vorgestellt.
Literaturauswahl ����������������������������������������������������������������������������������������������������������� 35
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Was wird gespielt – und wie
Im szenischen Theaterspiel werden Theaterimprovisationen mit Rollen und Geschichten
allgemein oder konkret ihre Ideen oder Assoziationen, Erfahrungen, Erlebnisse und aus-
entwickelt, die von den Kindern selbst gewählt und erdacht werden. Die Kinder stellen
gedachten Situationen sind. Nach einem kurzen Austausch finden jeweils etwa drei bis
dabei eigene Situationsabläufe vor und schlüpfen in verschiedene selbsterdachte Rol-
sechs Kinder in Kleingruppen zusammen, um das Thema nochmals untereinander zu
len. Das Theaterspiel im hier beschriebenen Sinne öffnet die Tür für kreative Prozesse,
besprechen und sich dazu eine Theaterszene zu überlegen – mit Orten, Abläufen und zu
mit denen die Kinder im gegenseitigen Austausch ihre Erfahrungen, Erlebnisse, Ideen
übernehmenden Rollen. Die Kinder werden unterstützt, ihre Ideen auszudrücken und ge-
und Fantasien aus ihrem Lebenskontext zum Ausdruck bringen.
meinsam eine realisierbare Szene zu entwickeln. Die Kleingruppen können nach unterschiedlichen Prinzipien gebildet werden, nach dem Zufallsprinzip oder gezielt, um das
Der „rote Faden“ einer Theatereinheit wird durch ein festgelegtes Thema bestimmt. Für
jeden unterrichtsbegleitenden Termin gibt es ein Oberthema, das aus dem schulischen
Alltag heraus als sinnvoll oder wichtig erscheint, um es mit den Kindern zu bearbeiten.
Zusammenarbeiten zu fördern. Bei einem guten Klassenklima können die Kinder immer
wieder auch selbst wählen, mit wem sie eine Szene entwickeln möchten.
Beispiele hierfür waren in der Vergangenheit beispielsweise „Ein für mich wichtiges Er-
Die Theatereinheiten finden mit einer gesamten Klasse oder mit einer Teilgruppe statt, je
lebnis in der Schule“, „Mein bester Freund, meine beste Freundin“, „Anders sein als
nach Größe der Klasse, der Anzahl der betreuenden Personen, dem Anteil von Kindern
andere“, „Situationen, bei denen eine Gruppe gut zusammenarbeiten muss“ oder „Ein
mit besonderen Bedürfnissen oder dem individuellen Interesse der Kinder, aktiv Theater
Wunsch in der Schule, der noch nicht erfüllt ist“. In einer Theater-AG mit Fünft- und
zu spielen.
Sechstklässler*innen konnten sich die Kinder eigene Oberthemen ausdenken. Dabei
entstand das Stück „Visit from far away“, das weit in der Zukunft spielte. Es wurde auf
einem Stadtteilfest aufgeführt.
Im praktischen Ablauf haben die Kinder zu Beginn einer theaterpädagogischen Einheit
die Möglichkeit, ihre Gedanken zu dem jeweiligen Oberthema zu äußern – egal, wie
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Prinzipien des pädagogischen
Theaterspiels in der Schule
Damit das szenische Theaterspiel seine Potenziale für die Kinder entfalten kann, sind
dazu ein, ihre Wahrnehmungen und Ideen zur Verfügung zu stellen, um eine Szene zu
einige Prinzipien zu beachten.
entwickeln.
FR EIW ILL IG KE IT:
Jedes Kind nimmt in Abstimmung mit den anderen Kin-
N:
BE SP RO CH EN E IM PR OV ISA TIO NE
Im Gegensatz zu einer kom-
dern Rollen ein, die es sich wünscht oder zu spielen bereit ist. Dabei ist wichtig, dass sich
plett freien Theaterimprovisation (ohne vorherige Diskussion von Situation, Rollen und
niemand benachteiligt fühlt und dass auf eine „gerechte Verteilung“ der eingebrachten
Ablauf) ist es im Spiel mit Kindern sinnvoll, ihre Theaterszenen zu besprechen, bevor
Ideen, der entwickelten Szenen und der Rollen geachtet wird.
sie aufgeführt werden. Hierzu gehört es, zusammen mit ihnen die dargestellten Rollen
zu klären und den Ablauf ihrer Geschichte (Anfang, Mittelteil, Ende) durchzugehen. Vor
SE LB ST BE ST IM MT ES SP IEL EN :
einer Präsentation sollten die Kinder die entwickelten Szenen vorspielen können.
Die Kinder entwickeln ihre Ge-
schichten selbst, konkrete Inhalte werden nur als Anregungen oder als Entscheidungs-
FE ED BA CK :
hilfen vorgegeben.
Feedback geben und erhalten die Kinder, wenn eine Szene vor
den anderen Kindern aufgeführt wurde. Für das Feedback sind standardisierte Fragen
HI ER - UN D - JE TZ T - PR IN ZIP :
entwickelt worden (vgl. Anhang C), die den Kindern helfen sollen, einander produktive
Dieses Prinzip beschreibt einen Wahrneh-
mungsfokus, bei dem sich die Kinder auf ihre Ideen und den Austausch in der Klein-
Rückmeldungen zu geben – der Mut, sich vor anderen zu präsentieren, sollte nicht durch
verletzende Äußerungen erstickt werden.
gruppe konzentrieren sollen, ohne eine innere Zensur, die bestimmte Wünsche oder
Erwartungen von vornherein unterdrückt. Das Hier-und-jetzt-Prinzip lädt alle Beteiligten
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Ziele und Ergebnisse:
Gemeinsamkeit im Mittelpunkt
Durch seine spielerische Form spricht das Theaterspiel ganz andere Seiten in den Kin-
Spiels richtet sich dabei auf gewaltfreie Konfliktlösungen – sowohl in individueller verba-
dern an als der übliche Unterricht und ermöglicht damit auch neue Lernerfahrungen.
ler und körperlicher als auch in gruppendynamischer Perspektive. Die Kinder werden zur
Viele mögen es, aktiv andere Rollen anzunehmen und Situationen des Alltags oder eige-
Kooperation angeregt, auch wenn bestehende Konflikte zwischen einzelnen Schüler*in-
ne Fantasien in Handlungen umzusetzen. „Lernen geschieht beim Theaterspielen aktiv,
nen in das Theaterspiel hineingetragen werden. Dafür ist es wichtig, dass jede Szene,
kreativ, interessengeleitet, selbstmotiviert und überwiegend in selbst gesteuerten Pro-
die einen Konflikt thematisiert, bis zu einer Lösung hin entwickelt wird.
zessen.“1
Neben dem spielerischen Erlernen der Kooperation und Zusammenarbeit fördert das
Das Hauptziel des szenischen Theaterspiels ist es, die Kinder in einen konstruktiven
szenische Theaterspiel den körperlichen und sprachlichen Ausdruck, ein bewusstes und
Dialog zu führen, auch diejenigen, die in der Klasse sonst vielleicht wenig miteinander
selbstaktives Handeln sowie Fantasie, Kreativität und die Freude am Ausprobieren und
zu tun haben. Das Theaterspiel zeigt ihnen, dass sie in der Lage sind, gemeinsam etwas
Experimentieren. Außerdem unterstützen die teilnehmende Beobachtung und das ge-
umzusetzen und zu erreichen – und sie erleben, wie bereichernd es ist, sich aufeinander
meinsame Besprechen von aufgeführten Szenen die Reflexionsfähigkeit. Während der
einzustellen und zusammenzuarbeiten. Mittels des freien Spielens können sie persön-
Reflexionsrunde lernen die Kinder, Fakten und Ergebnisse zu beschreiben und dabei
liche Ressourcen entdecken und gleichzeitig die innere Haltung für eine gelingende Par-
Abstand von ihrem emotionalen Verhältnis zu einzelnen Mitschüler*innen zu gewinnen.
tizipation und Verantwortungsübernahme im Klassenverband entwickeln. Abneigungen
oder Aggressionen, wie sie sich teilweise in den Unterrichtspausen äußern, können dadurch überwunden werden.
Bei der Vorbereitung einzelner Theaterszenen lernen die Kinder, durch das Mitteilen ihrer
Ideen oder biografischen Erfahrungen Verständnis und Empathie füreinander zu entwickeln und sich und die anderen in ihrer Individualität zu akzeptieren. Der Fokus ihres
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Romi Domkowsky (2011), Theaterspielen und seine Wirkungen, S. 526
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